Nach dem bemerkenswert guten Pilzjahr 2014 in Südbayern ist das diesjährige bislang reine Folter: Abgesehen von dem ergiebigen Regen in den beiden letzten Tagen konnte man die Niederschläge in den Wochen zuvor im Raum Donauwörth an einer Hand abzählen. Außerdem reichte deren Intensität oftmals nicht aus, den Boden zu durchfeuchten. Entsprechend stagnierte das Wachstum von Fruchtkörpern (Frk.), wohingegen vergangenes Jahr die Wälder aus allen Nähten platzten. Nichtsdestotrotz muss man als eingefleischter Pilzkundler von Zeit zu Zeit „seine Jagdgründe“ kontrollieren, ob sich nicht doch der ein oder andere Frk. – vielleicht von einer seltenen, wärmeliebenden Art – aus dem Boden getraut hat. Nachdem ich die Tage zuvor von einer Bekannten per Handyfoto einen Pilz am Friedhofsparkplatz unter Hainbuche (Carpinus betulus) gemeldet bekam, der sich nach persönlicher Inaugenscheinnahme als Gefleckthütiger Röhrling (Hemileccinum depilatum) herausstellte, war ich guter Hoffnung, an den südlichen Ausläufern der Riesalb mit ihren Kalklaubwäldern ebenfalls fündig zu werden.
Voller Euphorie schwang ich mich am Freitag, den 11.9.2015, aufs Rad und strampelte ins Riedlinger Holz. Doch das Ergebnis war ernüchternd: Der Wald war knochentrocken und pilzleer, abgesehen von Arten mit ausdauernden Frk. wie Porlingen. Auffallend war, dass an den am Boden liegenden Ästen etliche Sklerotien-Porlinge (Polyporus tuberaster) fruktifizierten. Abgesehen vom i.d.R. nicht schwarz gefärbten Stiel erinnert die Art an eine Miniaturausgabe des Schuppigen Porlings (P. squamosus), ist aber +/- zentral gestielt, hat mehr angedrückte Hutschuppen und einen bewimperten Hutrand. Außerdem riecht das Fleisch im Gegensatz zum Doppelgänger nicht nach Mehl bzw. Salatgurke. (Gminder 2008) Auch die Ökologie weicht voneinander ab. Während der Schuppige Porling als Parasit lebende Bäume befällt, ist der kleinere Verwandte ein auf Totholz spezialisierter Saprobiont. Als Besonderheit vermag der Sklerotien-Porling im Boden ein klumpiges Überdauerungsorgan auszubilden (Jahn 1979), aber nicht zwingend – in diesem Fall war leider keines vorhanden.
Nach der enttäuschenden Erkundung freute ich mich auf die Exkursion im rund 10 km südöstlich vom Riedlinger Holz gelegenen Mertinger Forst am Nachmittag. Am Vortag hatte ich Raimund Jakob, einem Augsburger Pilzfreund und Mitglied der Facebook-Gruppe „Pilze und Schwammerln - Bilder, Berichte und Bestimmungen“, angeboten, ihm ein anmooriges Habitat zu zeigen mit der Chance auf Frischpilze für die kleine Pilzausstellung, die der Pilzverein Augsburg Königsbrunn e.V. am kommenden Tag in Königsbrunn veranstaltete. Der etwa 600 ha große Mertinger Forst liegt südwestlich der Gemeinde Mertingen und bildet die nördliche Spitze des Naturparks Augsburg – Westliche Wälder. Es handelt sich überwiegend um einen bodensauren Fichtenforst mit anderen eingestreuten Nadel- sowie Laubbäumen und beherbergt nur wenige Laubbaumparzellen.
Vom Parkplatz führte ein viertelstündiger Fußmarsch ins Zielgebiet. Dort angekommen stießen wir nach dem Überschreiten eines kleinen Waldbachs gleich auf einen braunfarbigen Vertreter der Schleierlinge aus der Untergattung der Wasserköpfe/Gürtelfüße (Cortinarius subg. Telamonia) mit deutlichem Geruch nach Pelargonien/Gartengeranien. Den Pilz hatte ich bereits während der Begehung im August aufgesammelt und vorerst unter dem Arbeitstitel Pelargonien-Gürtelfuß (Cortinarius flexipes) abgelegt. Daheim beschlichen mich dann Zweifel, weil sowohl die typische spitzige Hutmitte als auch die weißen Velumgürtel am Stiel fehlten. Alternativ hatte ich den Bekränzten Gürtelfuß (C. stemmatus) ins Auge gefasst, aber aufgrund des geruchlosen Fleischs wieder verworfen. Möglicherweise handelt es sich doch nur um ältere Exemplare von C. flexipes.
Matthias Dondl erwähnte schließlich im Pilze-Pilze-Forum die Varietät flabellus, die weniger Velum besitzt und durchaus so aussehen kann wie unser Fund – besten Dank an dieser Stelle. Lindström (2012) charakterisiert flabellus in dem Schlüsselwerk „Funga Nordica“ wie folgt: „Hut veränderlich, zugespitzt bis ausgebreitet, nur am Rand weißschuppig; violette Farben nicht auffallend“ (übersetzt aus dem Englischen), was perfekt passt.
Ein paar Meter weiter stand schon die nächste Art Spalier: eine Gruppe des Starkriechenden Trompetenpfifferlings (Craterellus lutescens), die seit meinem Besuch im Vormonat ordentlich gewachsen waren. Vom ähnlich aussehenden „normalen“ Trompetenpfifferling (C. tubaeformis), von dem wir später an morschem, durchfeuchtetem Totholz die ersten kleinen Exemplare fanden, unterscheidet sich die Art durch die Orangetöne in der Stielfarbe, die glatte bis allenfalls faltige, runzelige Hutunterseite und den intensiven Duft nach Mirabellen – kein Wunder, dass die Art auch als Goldstielige oder Duftende Kraterelle bezeichnet wird. C. tubaeformis riecht zwar auch etwas fruchtig, aber deutlich schwächer. Ebenso fehlen die orange getönten Stiele. Dafür weist die Hutunterseite deutlich ausgeprägte Leisten auf. (Gerhardt 2002) Zum direkten Vergleich habe ich ein Archivfoto aus 2013 mit jeweils einer Kollektion beider Arten eingebunden.
An einer Stelle, an der das Wasser aus dem Boden drückt, standen noch mehrere Exemplare eines Rötlichen Lacktrichterlings (Laccaria laccata agg.) – den Pilz hatte ich dort schon im Vormonat mit einer Hand voll Frk. angetroffen (siehe Foto). Zur Bestimmung der Art stehen noch eine mikroskopische Untersuchung des aufgesammelten Materials und das Ausschlüsseln der Ergebnisse mit dem vorläufigen Schlüssel zur Bestimmung der mitteleuropäischen Arten innerhalb des Laccaria-laccata-Artkomplexes von Bresinsky (2011) an.
Wir entfernten uns anschließend vom Fließgewässer und nahmen einen kleinräumigen Torfmoosrasen mit Erlen und Birken unter die Lupe. Auch wenn das Sphagnum in den Randbereichen teils ausgetrocknet und weißlich ausgeblasst war, war es im Inneren noch saftig grün. Dort erspähte ich gleich den nächsten Pilz, wenn auch nur ein Einzelexemplar: der Birken-Spei-Täubling (Russula betularum), ein Wiederfund aus dem August (siehe Foto). Hier ist der Name Programm: Das scharf schmeckende Deiberl verursacht durch die in den Frk. enthaltenen Sesquiterpene nach einer Latenzzeit von etwa 0,5–3 Stunden Bauchschmerzen, Erbrechen und lang andauernde, heftige Durchfälle. (Laux 2001) Typisch sind die relativ kleinen, leicht brüchigen Frk. mit dem blass rosa und teils weißlich entfärbtem, mittig teils auch schwach ocker getönten Hut. Der Rand zeigt im Alter gerne eine schwache kammartige Riefung. Die leicht abziehbare Huthaut ist etwas klebrig. Sowohl die spröden, leicht splitternden Lamellen als auch das Sporenpulver haben eine weiße Farbe. Die Art wächst in Moorwäldern, an Bächen und vernässten Stellen, gerne im Torfmoos und war hier mit der Moor-Birke (Betula pubescens) vergesellschaftet.
Nach dem ersten Durchqueren des Torfmoosstreifens ging uns am Rand mit dem Gemeinen Birkenpilz (Leccinum scabrum) der erste Röhrling ins Netz. Symbiosepartner war auch hier die Moor-Birke. Das Einzelexemplar hatte einen halbkugeligen, hellbräunlichen Hut mit einer durch die trockene Witterung fein rissigen Huthaut, die am Rand teils deutlich eingerissen war. Auf der Hutunterseite wölbte sich die weißliche Röhrenschicht hervor. Die weißliche Stielrinde war mit bräunlichen Schüppchen besetzt. Seltener kann die Art auch mit farblosen Schuppen auftreten. Das weißliche Fleisch verfärbt sich im Anschnitt bei Kontakt mit Luftsauerstoff allenfalls schwach und langsam rosa-rötlich. In sumpfigen, bodensauren Standorten kommt zudem der ähnlich aussehende Vielverfärbende Birkenpilz (L. variicolor) vor. Dessen Frk. haben jedoch gerne eine gefleckten, dunkler gefärbten Hut und blau-grüne Verfärbungen in der Stielbasis oder im basalen Stielfleisch. (Gröger 2006)
Während ich den Birkenpilz fotografierte, entfernte sich Raimund noch weiter von der Torfmoosinsel und entdeckte im dichten Fichtenforst zwei „Steine“, die sich bei näherem Hinsehen als Schönfuß-Röhrling (Caloboletus calopus) entpuppten. Die in den Mittelgebirgslagen gar nicht so seltene Art hatte ich im Mertinger Forst bislang noch nicht gesehen – ein toller Nachweis. Der roh giftige, ansonsten bitter schmeckende und deshalb ungenießbare Pilz besitzt einen nach oben karminrot geflammten und oben gelben Stiel, der über die gesamte Länge mit einem ausgeprägten, erhabenen, bräunlichen bis gelblichen Netz bekleidet ist. Die Oberfläche blaut bei Berührung, genauso wie die gelben Röhren auf der Hutunterseite und das gelbliche Fleisch bei Kontakt mit Luftsauerstoff. Der polsterförmige Hut hatte eine braun-graue Farbe und eine samtig-filzige Oberfläche.
Zurück beim Torfmoosrasen fand ich dann noch eine Gruppe des Wolligen Risspilzes (Inocybe cf. lanuginosa agg.), an der ich kurz zuvor scheinbar blind vorbeigelaufen war. Die langstieligen Exemplare hatten bald schon einen flach gewölbten Hut mit einer zunächst wollig-grobfilzigen, bald kleinschuppigen Oberfläche mit haselbraunen bis dunkelbraunen, mittig dunkler getönten Farben. Die am Stiel breit angewachsenen und schwach herablaufenden Lamellen waren hellbeige gefärbt und nehmen erst im Alter eine +/- ockerbräunliche Färbung an. Der Stiel war etwas heller als der Hut gefärbt und auf ganzer Länge wollig befasert bis schuppig strukturiert.
Danke an Andreas Vesper für die Bestätigung meiner Einschätzung im DGfM-Forum. Der Risspilzexperte wies jedoch darauf hin, dass die Absicherung der Bestimmung und der entsprechenden Varietät eine mikroskopische Untersuchung erfordert. Werde deshalb versuchen, in den kommenden Tagen einige Exemplare nachzusammeln. Krieglsteiner & Gminder (2010) unterscheiden anhand verschiedener Zystidentypen folgende Taxa: I. leptocystis ohne Zystiden auf der Lamellenfläche und mit auffallend stark höckerigen, 10–13 x 8–10 µm großen Sporen sowie die beiden Varietäten lanuginosa und ovatocystis von I. lanuginosa mit Pleurozystiden. Während die Typusvarietät 50–80 µm lange, schlank keulige bis utriforme Hymenialzystiden aufweist, messen sie bei der Varietät ovatocystis 20–40 µm und sind ballonartig geformt.
Im Anschluss folgten wir dem Bachlauf noch ein ganzes Stück, fanden aber keine weiteren Pilze mehr – die Fruchtkörper konzentrierten sich allesamt auf den zuvor abgesuchten Hotspot. Zufrieden, überhaupt mal wieder Frischpilze zu Gesicht bekommen zu haben und für die Pilzausstellung Exponate beisteuern zu können, schlugen wir einen Bogen durch eine Kiefern-Buchen-Parzelle und machten uns danach auf den Rückweg zum Parkplatz.
Mangels Bildmaterial bleiben folgende Pilzfunde in diesem Bericht unberücksichtigt: Geranien-Sumpfschnitzling (Alnicola geraniolens), Perlpilz (Amanita rubescens), Gemeiner Steinpilz (Boletus edulis), Klebriger Hörnling (Calocera viscosa), Spitzgebuckelter Raukopf (Cortinarius rubellus), Gerandetknolliger Risspilz (Inocybe mixtilis), Violetter Lacktrichterling (Laccaria amethystea) und Ocker-Täubling (Russula ochroleuca).
Literatur
- Bresinsky, A. (2011): Über Laccaria longipes nebst Anmerkungen zur Checkliste der Basidiomycota von Bayern. Mycol. Bav. 12: 51–63.
- Gerhardt, E. (2002): BLV Handbuch Pilze. BLV, München: 378–379.
- Gminder, A. (2008): Handbuch für Pilzsammler. Kosmos, Stuttgart: 285.
- Gröger, F. (2006): Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa, Teil I. Regensb. Mykol. Schr. 13: 100.
- Jahn, H. (1979): Pilze, die an Holz wachsen. Busse, Herford: 182, 243.
- Krieglsteiner, G.J. & A. Gminder [Hrsg.] (2010): Die Großpilze Baden-Württembergs, Bd. 5. Dunkelblättler. Ulmer, Stuttgart: 459.
- Laux, H.E. (2001): Der große Kosmos Pilzführer. Kosmos, Stuttgart: 414.
- Lindström, H. (2010): Key O: Subgen. Telamonia sects Incrustati Melot, Helvelloides M.M. Moser, Paleacei Nespiak and Sanioso Moënne-Locc. & Reumaux. In: Knudsen, H. & J. Versterholt (2010): Funga Nordica, 2nd. ed. Agaricoid, boletoid, clavarioid, cyphelloid and gasteroid genera. Nordsvamp, Kopenhagen (DK): 876.