24.10.2024 – Bockberg bei Harburg (Schwaben)



15 Tage nach der Exkursion am 19.10.2025 war ich erneut am Bockberg unterwegs. Auch dieses Mal konzentrierte ich mich auf den westlich des Bockbergs gelegenen mageren Offengrasbereich. Das Habitat wird im Südwesten und Osten von einem Wald begrenzt, Richtung Nordwesten von der Schlaufe einer Straße nach Großorheim.

Mit von der Partie war wieder Cuphophyllus pratensis, der Orangefarbene Wiesen-Ellerling. Typisch sind der orange-bräunliche Hut und dazu konstrastierende helle Lamellen, die am ebenso hellen Stiel herablaufen. Auf dem Gruppenfoto kann man zudem gut bei dem großen Exemplar Risse im Hutzentrum erkennen, die bei dieser Art aufgrund des mikrostrukturellen Aufbaus der Hutdeckschicht öfter zu beobachten sind.
 

Massenhaft Runzelhüte

Im unteren Hangbereich vor der Straßenschlaufe Richtung Großorheim fruktifizierten zahlreiche kleine Blätterpilze, die ich aufgrund der braunen bis grauen, runzeligen Hüte und des deutlichen Mehlgeruchs als Samtritterlinge, Dermoloma sp., verortete. Die Gattung Dermoloma war und ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Bis die meisten Arten DNA-technisch abgegrenzt und taxonomisch fixiert worden sind, kann es noch etwas dauern.

Sánchez-García und Mitautoren (2021) sehen in Dermoloma eine monophyletische Gattung, die eng mit Pseudotricholoma – eine wenig bekannte Dermoloma-ähnliche Linie innerhalb der Familie Tricholomataceae – verwandt ist. Die Wissenschaftler ermittelten anhand ihrer phylogenetischen Analysen 25 (!) europäische operationale taxonomische Einheiten (Operational Taxonomic Units, kurz: OTUs), von denen sie aber nur 10 einen Artnamen zuweisen konnten. Für die verbleibenden potenziellen europäischen Arten stehen jedoch nur 5 weitere veröffentlichte Dermoloma-Namen mit unsicherem Status zur Verfügung.

Ebenfalls interessant: Proben aus Europa und Nordamerika scheinen auf kontinentaler Ebene abgegrenzt zu sein. Die nordamerikanischen Proben bilden 6 separate OTUs, aber nur eine konnte sicher benannt werden: D. hymenocephalum.
 

Innere Systematik der Samtritterlinge

Letztlich stützen die phylogenetischen Untersuchungen der Wissenschaftler die Aufteilung der Gattung in 2 Untergattungen mit jeweils 2 Sektionen:

  • Arten mit inamyloiden Basidiosporen und Fruchtkörpern mit für gewöhnlich dominierender Grautönung werden in die Untergattung Dermoloma gestellt, solche mit amyloiden Basidiosporen und Fruchtkörpern mit in der Regel vorherrschenden braunen Farbtönen in die Ug. Amylospora.
  • Die Ug. Dermoloma wird in die Sektion Conica (Hut kegelig, im Alter verflachend und mit ausgeprägter Spitze; Sporen ellipsoid bis länglich, Q > 1,5) und die Sekt. Dermoloma (Hut konvex und bald verflachend; Sporen breit ellipsoid bis ellipsoid, Q < 1,5) gegliedert.
  • Und die Ug. Amylospora wird in die Sekt. Atrobrunnea (Fleisch auf Druck ohne Farbveränderung) und Sekt. Nigrescentia (Fleisch auf Druck schwärzend) unterteilt.

Beim Gros der Fruchtkörper am Bockberg dürfte es sich um den vergleichsweise häufigen Runzeligen Samtritterling, D. cuneifolium handeln. Allerdings könnten dort durchaus weitere Arten vorkommen: Die fotografierte Gruppe bspw. würde mit ihren braunen Hutfarben, die mich zunächst an den Dattelbraunen Ellerling, Cuphophyllus colemannianus, glauben ließ, gut in die Ug. Amylospora passen. Da das Fleisch auf Druck nicht schwärzte, könnte die gesuchte Art in der Sekt. Atrobrunnea sein. 

Ich hoffe auf eine erneute Fruktifikation im Herbst 2025, um den Samtritterling bzw. die Samtritterlinge bestimmen oder wenigstens auf Sektionsniveau sicher eingrenzen zu können.
 

Filigrane gelbe Keulchen

Die Gras- und Krautschicht war immer wieder mit leuchtend gelben, schlank-keuligen Fruchtkörpern durchsetzt. Wie bereits im ersten Teil dieser Exkursionsserie thematisiert, bedingen die gelben Wiesenkeulen eine mikroskopische Untersuchung, um sie auf Artniveau ansprechen zu können. Der hier abgebildete Trupp leuchtend gelber, schlank keuliger Fruchtkörper könnte die Goldgelbe Wiesenkeule, Clavulinopsis cf. helvola, zeigen. Mikroskopisch ließe sich der Fund rasch anhand der knotig-höckerigen Sporen absichern (Marqua & Fischer 2010a) – andere gelbe Wiesenkeulen haben dagegen glatte Sporen.

Das Foto ist ein gutes Beispiel, wie wichtig die Vorarbeit „am Set” ist. Denn bei einer niedrigen Kameraposition (sogenannte „Mäuseperspektive”) ragen gerne Gräser, Blätter und Moose unscharf ins Bild. Zudem bringen helle Grashalme und -blätter Unruhe in den Hintergrund und lenken dadurch vom Hauptdarsteller ab. Wer vor Ort keine Zeit investiert, um das Umfeld zu optimieren, ärgert sich womöglich später bei der Bildauswertung daheim am großen Monitor. Die Makel lassen sich zwar nachträglich per Bildbearbeitung beseitigen oder zumindest abmildern, was aber deutlich mehr Zeit verschlingt.
 

Glitschige Tarnkappen

Der Papageigrünen Saftling, Gliophorus psittacinus, war ebenfalls mit von der Partie. Wer ihn finden will, muss genau hinsehen, um die in der Krautschicht gut getarnten Frk. aufzuspüren. Allerdings blassen die Grüntöne bei Tageslicht rasch gelb aus, wodurch die „Papageien“ dann leichter ins Auge fallen. Zum immensen Farbspektrum dieser Art verweise ich auf meinen Bericht von der Friedhofsrasen-Exkursion im Augsburger Umland am 30.10.2021. Zum Glück sind Stiel und Hut mit einer Schleimschicht bedeckt, wodurch sich die Hüte, die den hellen Himmel spiegeln, gut ausmachen lassen, selbst wenn sie noch komplett grün gefärbt sind.
 

Unbekannter brauner Rötling

Unten am Hang kurz vor der Straßenschlaufe Richtung Großorheim ist das Habitat recht kurzrasig ausgeprägt und mit einzelnen Wacholderbüschen durchsetzt. Dort gesellte sich zu den Samtritterlingen ein mir unbekannter brauner Rötling mit etlichen Exemplaren. Markant fand ich die konzentrisch abgestuften Hüte.

Nachdem ich ein Gruppenfoto in meiner Facebook-Chronik gepostet hatte (sorry für das bescheidene Handyfoto), erhielt ich von Elisabeth Mettler (Schierling) den Tipp, dass es sich um den Bischofsmützen-Glöckling, Entoloma infula, handeln könnte. Tatsächlich hebt Ludwig (2007) in seiner Merkmalsbeschreibung fett hervor, dass der Hut von E. infula oft eine bis mehrere konzentrische Abstufungen aufweist.

Enrico Tomschke (Pulsnitz) warf noch den Dickblättrigen Glöckling, E. clandestinum (Kehlet 2016), in den Ring. Allerdings käme bei meinem Fund dann nicht die Typusvarietät infrage, die schon jung ± braune Lamellen aufweisen und einen glatten, eher polierten Stiel besitzen spollte. Reschke und Mitautoren (2022) notieren in ihrem Aufsatz zur Taxonomie der Untergattung Nolanea folgendes zu E. clandestinum:

Entoloma clandestinum ist eine häufige Art in nährstoffarmen Graslandschaften und war bisher hauptsächlich unter dem Namen E. papillatum bekannt. Die Möglichkeit, dass diese beiden Taxa miteinander verwandt sind, wurde bereits von Vila et al. (2013) aufgezeigt. Kokkonen (2015) schloss auch E. kerocarpus auf der Grundlage der Typusstudie einschließlich Sequenzierung ein. E. depressum repräsentiert Exemplare mit eingedrücktem Hut, was bei dieser Art im Allgemeinen selten ist. E. clandestinum wurde in Europa manchmal mit E. sanvitalense verwechselt, einer nolaneoiden Art, die zur Sekt. Leptonia gehört (Vidal et al. 2016). Dies erklärt möglicherweise die unterschiedlichen Beschreibungen bezüglich der Schnallen (Noordeloos 1980, 1992, Kokkonen 2015). Nach den für diese Studie analysierten Exemplaren sind Schnallen im Hymenium reichlich vorhanden, ansonsten aber selten.

Insofern hoffe ich hier ebenfalls auf einen Wiederfund im Herbst 2025, um den braunen Eckigsporer mikroskopieren und bestimmen zu können.
 

Rote Früchtchen

Etwas hangaufwärts präsentierte eine Berberitze ihr farbenfrohes Herbstkleid mit roten Früchten an den dornigen Zweigen. Die Beeren der Berberitze sind sehr vitaminreich und schmecken säuerlich, was dem Strauch auch den Namen „Sauerdorn” eingebracht hat. In Europa wird aus ihnen traditionell Konfitüre gekocht, sie werden aber auch getrocknet in Müslis verspeist. Mehr zur kulinarischen Nutzung der Früchte kann im Abschnitt „Verwendung” des Wikipedia-Artikels nachgelesen werden.

Ganz in der Nähe leuchtete es ebenfalls rot aus dem grünen Moos heraus. Hierbei handelte es sich jedoch um die jungen, noch kugeligen Hüte eines Saftlings. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um den Kirschroten Saftling, Hygrocybe coccinea, obwohl die Fruchtkörper im Vergleich zum Fund der vorherigen Exkusion ziemlich klein waren. Allerdings wuchsen sie auch in einem nährstoffärmeren Bereich mit kürzerer Vegetation, was die Größenunterschiede erklären mag. Die Annahme werde ich gegebenenfalls im Spätherbst 2025 durch eine mikroskopische Untersuchung der Sporen (Form, Maße) verifizieren.
 

Datteln auf Wacholderheide

Nach den tollen Rötlings- und Saftlingsfunden lief ich hangaufwärts zurück und schlenderte noch am unteren Südwesthang des Bockbergs der Straße entlang (siehe Bild 3 von der Exkursion am 19.10.2025). Dort fielen mir einige Lamellenpilze mit braunen, fettig glänzenden Hüten ins Auge, die sich als Dattelbrauner Ellerling, Cuphophyllus colemannianus, herausstellten. Die Art kenne ich gut von den Kalkhalbtrockenrasen der Königsbrunner Heide und Firnhaberauheide bei Augsburg.

Typisch ist die braune Hutfarbe mit rötlichem Farbeinschlag, die an die Farbe getrockneter Früchte der Dattelpalme (Name!) erinnert. Zum Hutrand hin heller, scheinen dort zuweilen die Lamellen undeutlich durch. Der erst halbkugelige Hut ist schon bald flach konvex und wölbt sich im Alter wellig nach oben. Die weißlichen bis blass bräunlichen Lamellen laufen am Stiel herab, sind häufig gegabelt und deutlich querverbundenen. Die Schneiden sind glatt und wie die Lamellen gefärbt, können aber zumindest stellenweise braun gefärbt sein, siehe Folie 35 meines Vortrags „Die Pilze der Kalkschotterheiden um Augsburg und München”. Das weiße Fleisch hat keinen spezifischen Geruch. Die verdreht-längsfaserigen Stiele sind im Alter wattig ausgefüllt.

Ähnlich kann der seltenere Radialgestreifte Ellerling (C. radiatus) aussehen. Er ist aber schmächtiger und die durchscheinende Riefung deutlicher bis zur Hälfte des Hutradius ausgeprägt. Auch der Dunkelscheibige Ellerling (C. virginea var. fuscescens), eine Varietät des Glasigweißen Ellerlings mit ähnlich getönter Braunfärbung in der Hutmitte, könnte mit dem Dattelbraunen Ellerling verwechselt werden. (Marqua & Fischer 2010b)
 

Zwei zarte Stinker

Schlusslicht meiner Exkursion machte der Braungrüne Zärtling. Entoloma incanum ist wie der Papageigrüne Saftling durch seine Farben in der Krautschicht bestens getarnt. Kein Wunder, dass ich den Gesellen erst während des Fotoshootings des Dattelbraunen Ellerlings entdeckte – in demütiger Grundhaltung, d. h. auf Knien, ist man schlicht näher dran. Der kleine, gebrechliche Rötling wurde am 4. Oktober 2012 vom Fachausschuss Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) zum Pilz des Jahres 2013 ernannt, weil er im Bestand gefährdete Offengrashabitate wie Halbtrockenrasen und Magerwiesen besiedelt und bereits mit bloßem Auge im Feld ansprechbar war: Hut oliv, Stiel hellgrün, auf Druck ± blaugrün verfärbend und Frk. unangenehm nach verbranntem Horn riechend.

Alles änderte sich 2021, als Morozova und Mitautoren basierend auf DNA-Untersuchungen E. verae neu beschrieben. Die äußerlich von E. incanum nicht unterscheidbare Art lässt sich nur mit Hilfe des Lichtmikroskops anhand der Sporengröße abgrenzen: E. incanum s. str. hat für gewöhnlich größere Sporen, die im Schnitt 12,5 × 8 μm messen, im Gegensatz zu E. verae mit 10,5 × 7,5 μm. Allerdings geben die Autoren an, dass die Größe der Sporen erheblich schwanken kann, wenn 2-sporige Basidien vorhanden sind.

 

Literatur und Weblinks

Herzlich Willkommen!

Mein Name ist Andreas Kunze, ich bin ein Pilzkundler aus Donauwörth (Schwaben). Ich beschäftige mich gerne mit Wiesenpilzen wie Saftlingen und Zärtlingen. Als begeisterter Pilzfotograf finde ich einen Ausgleich zu meinem Job im IT-Support.

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