Funddaten
Kollektion: 6 Fruchtkörper Bestimmung: Entoloma sinuatum (Bulliard 1793 ex Persoon 1801 : Fries 1821) P. Kummer 1871 Funddatum: 23.10.2016 Fundort: D − BY − RBz Schwaben – Lkr. Donau-Ries − Donauwörth-Riedlingen − Riedlinger Holz Messtischblatt: 7230/3.4.3 Höhe über NN: 503 m Ökologie: lichter Buchen-Eichen-Hainbuchen-Mischwald auf Lehmboden Begleitfunga: Flockigstieliger Rettich-Fälbling (Hebeloma sinapizans) und Elfenbein-Schneckling (Hygrophorus eburneus)
Merkmale
Hut: 4−12 x 3−11,5 cm breit, 1−2 cm hoch, jung konvex-gebuckelt, unförmig und nie kreisrund, bisweilen eingeschnitten; im Alter niedergedrückt mit schwach-stumpfem Buckel, eingedellt und etwas wellig verbogen; Rand stets ungerieft, zunächst umgebogen und später scharfrandig; Hutdeckschicht eingewachsen fein radialfaserig, seidig-glänzend, wie gummiert anfühlend, fein weiß bepudert/bereift (10x-Lupe) auf grau-ockerlichem Grund und dadurch hellgrau-weißlich aussehend
Lamellen: ausgebuchtet angeheftet, bis zu 12 mm breit, leicht bauchig, am Hutrand kurz bogig, dünn, mit Zwischenlamellen untermischt, auch gegabelt, erst markant gelblich, am längsten im Randbereich, mit zunehmender Reife durch das ausfallende Sporenpulver lachsfarben, zuletzt eintönig altrosa
Sporenpulver: rosa-bräunlich
Stiel: 4−12 cm lang, 1−2 x 1−1,5 cm dick, zylindrisch, apikal bis zu 2,5 cm erweitert, basal 2,5−3,5 cm keulig verdickt, gesellig im lückigen Hexenring fruktifizierend, vereinzelt büschelig mit bis zu fünf Exemplaren verwachsen, gerade, zur Basis hin geschwungen bis leicht gekniet; Stieloberfläche glatt, matt bis schwach seidig glänzend, eingewachsen fein längsfaserig (10x-Lupe), weiß, im Alter mit ockerfarbenem Beiton
Fleisch: nahtlos vom Stiel in den Hut übergehend, vollständig weiß; im Hut mittig bis zu 1,5 cm dick, seitlich rasch dünner werdend, aber bis zum Hutrand vorhanden, derb; im Stiel längsfaserig, Stielrinde bis zu 3 mm dick, noch fester als im Hut
Geruch: nach Mehl bzw. Salatgurke mit säuerlich-unangenehmer Komponente
Bestimmung
Entoloma sinuatum ist in Europa die Rötlingsart mit den größten Fruchtkörpern: Nordeloos (1992) und Ludwig (2007) beziffern den Hutdurchmesser auf bis zu 25 cm, die Stiellänge soll bis zu 14 cm (Ludwig) bzw. 15 cm (Noordeloos) erreichen. Der Riesen-Rötling ist durch die Größe der Fruchtkörper, den weder hygrophanen noch am Rand durchscheinend gerieften und hellen Hut, die gelblichen Lamellen, das Vorkommen in lichten Laubwäldern und in diesem Fall das spätherbstliche Erscheinen gut charakterisiert.
Artabgrenzung
Ähnliche Rötlinge
Zur selben Zeit kann im entsprechenden Habitat der Weißstielige Rötling (E. lividoalbum) vorkommen, der jedoch kleinere Fruchtkörper aufweist. Die Art kann bereits mit bloßem Auge durch den kegeligen bis flach ausgebreiteten und oft flach gebuckelten Hut, das mittig dickfleischige und zum Rand hin auffallend ausdünnende Hutfleisch, die bräunlichen und bei Trockenheit etwas heller werdenden Hutfarben sowie die anfangs weißen Lamellen unterschieden werden.
Ein weiterer und im Vergleich zu E. lividoalbum deutlich häufigerer Verwechslungskandidat ist der Niedergedrückte Rötling (E. rhodopolium). Doch auch er wird nicht so groß wie der Riesen-Rötling und hat zunächst weiße Lamellen. Außerdem besitzt er einen dünnfleischigen und deutlich hygrophanen Hut, der bei Trockenheit streifig und stark ausblasst. Das geruchlose Fleisch weist lediglich in der Form nidorosum einen nitrösen Geruch auf, aber keine Mehlkomponente.
Ähnlichkeit mit E. sinuatum hat noch der im Frühjahr unter Rosengewächsen auftretende Schild-Rötling (E. clypeatum), insbesondere in der Form xanthophyllum mit deutlichen Gelbtönen in der Hut- und vor allem Lamellenfarbe. Die Art ist ebenfalls kleinwüchsiger als der Riesen-Rötling und kann wie alle „Frühlingsrötlinge“ (Sektion Nolanidea) schnell anhand des Habitats und der Phänologie ausgeschlossen werden. Bei Sommerfunden gilt es zu berücksichtigen, dass sich die Erscheinungszeiten beider Arten überschneiden können.
Andere ähnliche Pilze
Als möglicher Doppelgänger aus anderen Gattungen kommt beispielsweise der von einigen Pilzfreunden für Speisezwecke gesammelte Nebelgraue Trichterling (Clitocybe nebularis) infrage. Dessen Fruchtkörper haben jedoch herablaufende, leicht ablösbare Lamellen und riechen aufdringlich süßlich-ranzig, vor allem im Alter, wohingegen der Riesen-Rötling stark mehlartig-ranzig riecht. Der Verzehr der Nebelkappe wird heute aufgrund des in den Fruchtkörpern enthaltene Nebularins, das die Darmflora beeinträchtigt, nicht mehr empfohlen. (Winterstein 2000)
Auch der in allen Teilen des Fruchtkörpers mehr oder weniger farblose Veilchen-Rötelritterling (Lepista irina) hat eine gewisse Ähnlichkeit, kann aber gut an den leicht ablösbaren Lamellen und seinen aufdringlich parfümartig-fruchtigen Geruch nach Veilchenwurz erkannt werden. Diese Art wird jedoch für gewöhnlich nicht für die Pilzpfanne gesammelt und soll zudem unangenehm schmecken.
Speisepilzsammler könnten den Riesen-Rötling mit diversen Champignons (Agaricus sp.) verwechseln, beispielsweise den Wiesen-Champignon (A. campestris). Das markanteste Merkmal von Agaricus-Arten zur Unterscheidung von E. sinuatum ist das Vorhandenseins eines Rings am Stiel. Die zunächst fleischrosa Lamellen von A. campestris verfärben sich im Alter durch das ausfallende Sporenpulver schokoladenbraun. Der Sporenpulverabdruck ist dunkelbraun.
Namen und Verwandtschaft
Bei diesem Abschnitt handelt es sich im Wesentlichen um einen Übersetzungsversuch des Abschnitts „Name and relationships” aus dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel über Entoloma sinuatum (Stand 21.3.2024, 9:43) ins Deutsche.
Die Taxa Agaricus ividus und Entoloma lividus
Die lange Geschichte über den wissenschaftlichen Namen des Riesen-Rötlings beginnt im Jahre 1788 mit der Veröffentlichung von Jean Baptiste Bulliards achten Teils seines Tafelwerks „Herbier de la France“. Darin befindet sich die Bildtafel 382, die einen Pilz zeigt, den er als Agaricus lividus bezeichnete. Im Jahre 1872 nahm Lucien Quélet eine Art auf, die er „Entoloma lividus Bull“ nannte. Obwohl sich später alle einig sind, dass dies ein ziemlich klarer Hinweis auf Bulliards Namen ist, hinterließ Quélet eine Beschreibung, die allgemein einer anderen Art als der von Bulliard zugeordnet wird.
Die Taxa Agaricus sinuatus und Entoloma sinuatum
In der Zwischenzeit erschien 1801 die Beschreibung von Agaricus sinuatus von Christian Hendrik Persoon in seinem „Synopsis Methodica Fungorum“. Er begründete diesen Namen auf einer anderen Bildtafel (Nr. 579), die im letzten Teil von Bulliards Werk erschien, und die letztgenannter als „Agaric sinué“ bezeichnet hatte. Der deutsche Mykologe Paul Kummer hat das Taxon dann 1871 zu Entoloma sinuatum umkombiniert.
Neue Priorität durch Stockholm-Code
Für viele Jahre wurde Quélets Name und Beschreibung als gültig behandelt, weil Persoon Bulliards Namen erwähnte. Im Jahr 1950 wurde jedoch eine Änderung im Internationalen Code der botanischen Nomenklatur (Stockholm-Code – nach der Stadt, in der der Internationale Botanische Kongress stattfand.) vorgenommen, dass nur Pilznamen, die nach 1801 bzw. 1821 (je nach Art) veröffentlicht wurden, gültig sind. Das bedeutete, dass plötzlich Bulliards Name kein gültiger Name mehr war und jetzt der Name von Persoon Priorität hatte.
Konkurrierende Gattungen: Rhodophyllus vs. Entoloma
Trotzdem war es ein bekannter Name, und die bereits chaotische Situation, die durch einen Wechsel zu einem berühmten lateinischen Namen verursacht wurde, geriet durch einen anderen von Quélets Vorschlägen noch komplizierter. Er hatte im Jahre 1886 eine neue, breitere Gattung vorgeschlagen, die alle rosa-blättrigen Hutpilze mit angewachsenen oder ausgebuchteten Lamellen und eckigen Sporen enthält: Rhodophyllus. Diese beiden Ansätze, die Art entweder in der Gattung Rhodophyllus oder Entoloma zu platzieren, koexistierte durch Mykologen und ihren Bestimmungsbücher für viele Jahrzehnte; Henri Romagnesi, der die Gattung über 40 Jahre lang studierte, begünstigte Rhodophyllus, wie ursprünglich Rolf Singer. Allerdings bevorzugten die meisten anderen Autoren Entoloma. Singer räumte ein, dass der Name weitaus stärker verbreitet war und verwendete ihn im Jahr 1986 für seine „Agaricales in Modern Taxonomy“.
Sanktionierte Namen durch Sydney-Code
In der Zwischenzeit war es weithin akzeptiert worden, dass der Wechsel zum Stockholm-Code im Jahre 1950 mehr Probleme verursachte, als sie zu lösen. 1981 stellte der Sydney-Code die Gültigkeit der Namen, die vor 1801 publiziert wurden, wieder her, schuf aber den Status des sanktionierten Namens für die in den grundlegenden Arbeiten von Persoon und Elias Magnus Fries enthaltenen Namen. Dadurch musste der Name Entoloma sinuatum, den Fries sanktioniert hatte, weiter für die von Quélet beschriebene Art verwendet werden, obwohl Bulliards Name der ältere war.
Illegitimer Name, Neubewertung von Bulliards Farbtafel und das Taxon Entoloma eulividum
Etwa zur selben Zeit untersuchte der niederländische Mykologe und Gattungsspezialist Machiel Evert Noordeloos den Namen von Bulliard genauer. Er fand heraus, dass der Name illegitim war und damit nicht verwendet werden konnte, weil William Hudson ihn bereits zehn Jahre zuvor für eine andere Art benutzt hatte. Darüber hinaus zeigt Bulliards Illustration eindeutig keinen Rötling sondern einen Vertreter der Dachpilze (Pluteus) – eine Gattung, die nur entfernt mit den Rötlingen verwandt ist. Da dies Quélets Namen für den Riesen-Rötling definitiv unbrauchbar machte und weil Noordeloos damals, als er und Romagnesi glaubten, Quélets E. lividum und Persoons E. sinuatum seien eigenständige Spezies, musste er einen dritten Namen für Quélets Art prägen: Entoloma eulividum. Er änderte aber später seine Ansicht in dieser Frage und kombinierte sein eigenes E. eulividum zu E. sinuatum um, so dass der Name von Persoon jetzt allgemein anerkannt ist.
Antrag auf Konservierung von Quélets Entoloma lividum
Im Jahre 1999 schlug Guy Redeuilh vor, den Namen E. lividum zu konservieren und damit erneut zu verwenden, weil der Name vorher weit verbreitet war und Quélet eine gute Beschreibung nebst Illustration hinterließ. Diese seien besser als eine neue Art zu betrachten, argumentierte der Antragsteller, als die bloße Platzierung von Bulliards Namen in einer anderen Gattung. Allerdings scheiterte der Antrag, weil E. sinuatum schon seit vielen Jahren in Gebrauch war (wenn auch nicht allgemein) und somit ein bekannter Name für den Riesen-Rötling war. (Gams 2001)
Klassische Systematik und genetische Abstammung
Klassisch hat Noordeloos (1992) E. sinuatum in der Sektion Entoloma der Untergattung Entoloma platziert, weil sie die Typusart der ca. 1.500 Arten umfassenden Großgattung Entoloma ist. Co-David und Mitautoren (2009), die DNA-Sequenzen und die Sporenmorphologie untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass der Riesen-Rötling in den Verwandtschaftszweig des Niedergedrückten Rötlings (Rhodopoliod Clade) gehört. Diese Artengruppe besteht aus dem namensgebenden E. rhodopolium, dem Ranzigen Feuchtstellen-Rötling (E. caccabus), dem Keulenfüßigen Rötling (E. myrmecophilum), dem Glänzenden Nitrose-Rötling (E. politum), dem Weiden-Rötling (E. sericatum), dem Horngrauen Rötling (E. sordidulum) und dem hier porträtierten Riesen-Rötling.
Literatur
- Co-David D, Langeveld D, Noordeloos ME (2009) Molecular phylogeny and spore evolution of Entolomataceae. Persoonia 23: 147–176. DOI: 10.3767/003158509X480944
- Dämmrich F, Lotz-Winter H, Schmidt M, Pätzold W, Otto P, Schmitt JA, Scholler M, Schurig B, Winterhoff W, Gminder A, Hardtke HJ, Hirsch G, Karasch P, Lüderitz M, Schmidt-Stohn G, Siepe K, Täglich U, Wöldecke K (2016) Rote Liste der Großpilze und vorläufige Gesamtartenliste der Ständer- und Schlauchpilze (Basidiomycota und Ascomycota) Deutschlands mit Ausnahme der Flechten und der phytoparasitischen Kleinpilze. In: Matzke-Hajek G, Hofbauer N, Ludwig G (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Bd. 8: Pilze (Teil 1) – Großpilze. Naturschutz und Biologische Vielfalt 70(8), Landwirtschaftsverlag Münster. 444 S.
- Flammer R, Horak E (2003) Giftpilze – Pilzgifte. Pilzvergiftungen. Ein Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Biologen, Mykologen, Pilzexperten und Pilzsammler. Schwabe, Basel (CH): 146–147.
- Gams W (2001) Report of the Committee for Fungi: 9. Taxon 50(1): 269–272. doi:10.2307/1224527
- Gröger F (2006) Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa, Teil I. Regensb. Mykol. Schr. 13: 493.
- Karasch P, Hahn C (2009) Rote Liste gefährdeter Großpilze Bayerns. LfU, Augsburg: 79.
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Knudsen H, Vesterholt J (2012) Funga Nordica, 2nd ed. Agaricoid, boletoid, clavarioid, cyphelloid and gastroid genera. Nordsvamp, Kopenhagen (DK): 555. -
Krieglsteiner GJ (2003) Entoloma sinuatum. In: Krieglsteiner GJ et al.: Die Großpilze Baden-Württembergs, Bd. 4. Ständerpilze: Blätterpilze II (Hell- und Dunkelblättler). Eugen Ulmer, Stuttgart: 197−198. -
Ludwig E (2007) Pilzkompendium, Bd. 2. Beschreibungen. Fungicon, Berlin: 315–316. -
Noordeloos ME (1992) Entoloma s. l. Fungi Europaei, Vol. 5. Candusso, Saronno (I): 111–114, 72. - Redeuilh G (1998) The unchanging names! Nomenclatural notes on the conservation of species names. Z. Mykol. 64(1): 9–16.
- Redeuilh G (1999) Proposal to conserve the name Entoloma lividum against three earlier synonyms. Taxon 48(1): 145–146.
- Singer R (1986) The Agaricales in modern taxonomy. Koeltz Scientific Books, Koenigstein, 981 S.
- Winterstein D (2000) Plädoyer für die Giftigkeit der Nebelkappe. Pharmazeutische Zeitung 8: 11–14.