Als ich die 2016er Auflage des „Pareys Buch der Pilze“ erstmals in den Händen hielt, fiel mir zunächst auf, dass das 19 × 11,5 cm-formatige Werk dünner war als der Vorgänger aus dem Jahr 2005. Es ist 18 mm dick, die vorherige Auflage kommt dagegen auf rund 22 mm. Doch die Seitenzahlen beider Bücher enden bei 363 – es wurden also keine inhaltlichen Kürzungen vorgenommen. Offenbar hat der Verlag lediglich ein dünneres Papier verwendet ohne jedoch spürbar an Seitenstabilität einzubüßen.
Außenwirkung: der Umschlag
Vorderseite
Auf die Vorderseite des Umschlags hat Kosmos mit der prächtigen 4er-Gruppe Steinpilze das gleiche Motiv wie auf der vorherigen Auflage abgedruckt, dieses jedoch etwas kleiner, doppelt und unterschiedlich groß abgedruckt, was durch den geschickten und Spannung erzeugenden Bildschnitt erst auf den zweiten Blick auffällt.
Statt des grünen Farbverlaufs wurde ein sahnefarbener Hintergrund gewählt, der die Zeichnung noch stärker in den Vordergrund rückt. Das ist auch das Alleinstellungsmerkmal, das der Verlag prominent bewirbt: das einzige gezeichnete Pilzbestimmungsbuch – zumindest in Taschenbuchgröße und in dieser Preisregion.
Der Vorteil von gezeichneten gegenüber fotografierten Pilzen ist, dass der Künstler die Fruchtkörper gleich mit allen typischen Merkmalen zu Papier bringen kann. Dagegen sind bei fotografierten Exemplaren nicht immer alle relevanten Merkmale erkennbar, können unterschiedlich stark ausgeprägt sein oder sogar fehlen.
Rückseite
Wie beim Vorgänger hat der Verlag auf der Rückseite des Umschlags an eine Messskala mit Zentimeter- und Millimetereinteilung zum Vermessen von Fruchtkörpern gedacht. Leider wurde sie zugunsten eines hochkant aufgedruckten Firmenlogos und zusätzlichen Leerraums nur 12 cm lang bemessen – die Auflage aus 2005 bot hier 17 cm.
Hätte sich Kosmos mit dem Logo auf dem Front-Cover und dem Buchrücken begnügt oder es vom Rand etwas nach innen gesetzt, wären fünf Zentimeter mehr drin gewesen. Ebenso wären die beiden Innenseiten des Umschlags eine Alternative gewesen.
So muss man früher anfangen zu stückeln und gegebenenfalls mehrmals anlegen. Dafür hat der Verlag im Vergleich zur alten Auflage längere Messstriche verwendet, die Skala nahtlos an den Rand gerückt und die Ziffern nach innen versetzt, so wie es bei Linealen üblich ist.
Vorgeplänkel: Inhalt und Einleitung
Inhaltsverzeichnis und Originalausgabe
Nach den Hinweisen zum Gebrauch des Buchs auf der Innenseite des Umschlags, die auch einen Haftungsausschluss bei Pilzvergiftungen durch Fehlbestimmungen enthalten, folgt kompakt auf einer Seite ein Inhaltsverzeichnis. In der anschließenden Einleitung erfährt die Leserin bzw. der Leser, dass das Buch erstmals 1988 erschien und es sowohl in der französischen Originalausgabe als auch den verschiedenen Übersetzungen recht erfolgreich war.
Die deutschsprachige Version wurde von dem renommierten Pilzexperten Till R. Lohmeyer aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet – die englische Originalausgabe wurde von Channel Books unter dem Titel „The mushrooms and toadstools of Britain and Northwestern Europe“ verlegt.
Einleitung in Wort und Bild
Dann folgen Erläuterungen zu den Texten und Abbildungen im Hauptteil, Informationen wie man Pilze sammelt und kennenlernt, welche Beobachtungen im Gelände wichtig sind und was bei Speisepilzen sowie deren Zubereitung zu beachten ist. Anschließend umreißt der Autor den Aufbau und die Lebensweise der Pilze und widmet sich dann auf mehr als fünf Seiten den makroskopischen und mikroskopischen Merkmalen von Fruchtkörpern. Schwarzweiß-Zeichnungen illustrieren beispielsweise verschiedene Velumtypen, das Anfertigen eines Sporenabdrucks, einige ausgewählte mikroskopische Elemente und den Aufbau der gängigsten Hutdeckschichten.
Achtung: Syndrome bei Pilzvergiftungen
Die häufigsten Syndrome im Überblick
Anschließend werden auf knapp drei Seiten die verschiedenen Syndrome bei Pilzvergiftungen kurz abgehandelt, vom Gastrointestinalen Syndrom mit Übelkeit-Erbrechen-Durchfall-Symptomatik über die lebensbedrohlichen Phalloides- und Orellanus-Syndrome bis hin zum Gyromitra-Syndrom. Mehr als eine halbe Seite umfasst das Phalloides-Syndrom, das vor allem durch den Verzehr des Grünen Knollenblätterpilzes (Amanita phalloides) hervorgerufen wird. Die in dem Pilz enthaltenen Gifte schädigen die Leber, können unbehandelt zum Organversagen und letztlich zum Tod des Betroffenen führen.
Im Abschnitt über die jüngsten Syndrome werden zwar noch die Rhabdomyolyse, eine Muskellähmung, verursacht durch den Verzehr von Ritterlingen aus der Verwandtschaft des Grünlings (Tricholoma equestre), und die Akromelalgie, starke und langanhaltende Schmerzen in den Gliedmaßen infolge des Verzehrs der beiden Trichterlinge Clitocybe agromelalga (in Japan) und Clitocybe amoenolens (in Frankreich), aufgelistet. Die beiden Syndrome waren aber bereits in der Auflage von 2005 enthalten.
Seltene und neuere Syndrome
Vermisst habe ich hingegen das Morchella-Syndrom, das durch den Verzehr größerer Mengen frischer, aber ausreichend gegarter Käppchen-, Speise- und Spitz-Morcheln (Morchella sp.) hervorgerufen wird. Bei den Betroffenen äußerten sich nach durchschnittlich 12 Stunden neurologische Symptome, insbesondere Zittern, Schwindel oder Trunkenheitsgefühl und Gleichgewichtsprobleme bzw. Bewegungsstörungen, die nach weiteren 12 Stunden vollständig abklangen. In Verdacht steht ein bis dato unbekanntes Neurotoxin, das sich möglicherweise in älteren Fruchtkörpern anreichert.
Prof. Dr. Siegmar Berndt berichtet hierzu auf der DGfM-Website in dem Kurzartikel „Neurologisches Syndrom nach Morchelgenuss“ über einen solchen Vergiftungsfall. Ausführlich beschäftigt sich der Toxikologe in den DGfM-Mitteilungen 2010/1 (in der Zeitschrift für Mykologie 76[1] enthalten) mit dem Thema – eine empfehlenswerte Zusammenfassung auf mehr als 5 Seiten.
Des weiteren fehlt das Pleurocybella-Syndrom, das bei nierenkranken Menschen durch den Verzehr des Ohrförmigen Weißseitlings (Pleurocybella porrigens) ausgelöst wird und schlimmstenfalls tödlich enden kann, was eine Reihe von Todesfällen in Japan belegt. Der Pilz soll bisweilen auch in Deutschland als Speisepilz gesammelt werden.
Als Literatur empfehle ich den Aufsatz „Der Todesengel Pleurocybella porrigens“ aus Prof. Dr. Siegmar Berndts und meiner Feder, der in der pilzkundlichen Zeitschrift „Der Tintling“ (Heft 2/2012, Nr. 75) erschienen ist. Die Ausgabe ist zwar vergriffen, aber die Herausgeberin Karin Montag hat mir den Artikel dankenswerterweise als PDF-Dokument zur Verfügung gestellt. Die Datei kann kostenlos über meine Publikationsseite heruntergeladen werden.
Grundwissen: Merkmale von Hutpilzen und Fruchtkörpertypen
Im Anschluss geht es bereits ans Eingemachte. Auf einer Doppelseite werden verschiedene Formen und Bezeichnungen von Hutpilzen illustriert:
- die Silhouette des Huts von konvex bis genabelt,
- die Hutoberfläche von seidig bis aderig-netzig,
- der Hutrand von gerieft bis wellig verbogen,
- die Lamellenform von bauchig bis gesägt,
- der Lamellenansatz am Stiel von fast frei bis herablaufend,
- die Lamellenfärbung von Schneide gefärbt bis vom Rand her schwärzend,
- die Stielform von zylindrisch bis keulig,
- das Stielfleisch von (längs)faserig bis hohl,
- ob das Hut- und Stielfleisch trennbar oder miteinander verwachsen ist,
- die Stieloberfläche von (längs)faserig bis grubig,
- Ausprägungen der Teilhülle von der Cortina bis zum zahnradartigen Ring und
- die Überreste der Gesamthülle an der Stielbasis von bescheidet, mit lappiger Volva bis gestiefelt.
Die nächste Doppelseite zeigt verschiedene Fruchtkörpertypen aus den Hauptgruppen der Röhren- und Lamellenpilze mit Seitenverweisen zum gezielten Einstieg in den Hauptteil mit den Beschreibungen und Zeichnungen.
Wegweiser: die Bestimmungsschlüssel
Auf den folgenden 12 Seiten folgen die Bestimmungsschlüssel zu den Gattungen und Artengruppen. Anhand von Merkmalen wird man Schritt für Schritt durch die verzweigten Schlüsselpunkte geführt und landet idealerweise in der Gattung oder Artengruppe, zu der der gesuchte Pilzfund gehört.
Im ersten Schritt werden fünf Hauptgruppen nach dem Vorkommen des Hymeniums und der Form des Hymenophors unterschieden, also an welcher Stelle des Fruchtkörpers die sporenproduzierende Fruchtschicht vorkommt und wie deren Trägerschicht geformt ist:
- Schlüssel 1 Lamellenpilze,
- Schlüssel 2 Hymenium im Innern des Fruchtkörpers oder in ein Stroma eingesenkt: Bauchpilze, Schleimpilze, verschiedene Schlauchpilzgruppen (Pyrenomyceten, Tuberales),
- Schlüssel 3 Hymenium auf der Fruchtkörperaußenseite, nicht auf der Unterseite eines Hutes,
- Schlüssel 4 Hymenophor röhrig oder porig - Röhrlinge und Porlinge,
- Schlüssel 5 Hymenophor glatt, gefältelt, gerippt oder stachelig, nicht jedoch lamellig, röhrig oder porig (Aphallophorales p. p.).
Nachstehend beispielhaft die ersten beiden Schlüsselpaare des Schlüssels über Röhrlinge und Porlinge, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie ein Bestimmungsschlüssel aussieht:
1a Röhren leicht vom Hutfleisch trennbar, weich; F weder hart noch lederig zäh: Röhrlinge , S. 30 ff.
1b Röhren oft gleichsam aus dem Hutfleisch gestanzt, nicht leicht ablösbar: 22a Mit gut ausgebildetem, seitlichem oder zentralem S; Frkp nicht strauchartig verzweigt: 3
2b Frkp halbkreis-, hufeiesen- oder rosettenförmig, bisweilen mit verschmälerter Ansatzstelle oder strauchartig verzweigt: 5
Besonders umfrangreiche Gruppen verfügen zusätzlich über eigene Spezialschlüssel, die sich quer übers Buch verteilen und auf die zu Beginn des Hauptschlüssels mit Seitenangaben verwiesen wird: Röhrlinge, Täublinge, Wachsblättler, Nabelinge und Verwandte, Trichterlinge und Verwandte, Ritterlinge und Verwandte, Schleierlinge, Risspilze, Schirmlinge und Verwandte, Wulstlinge und Knollenblätterpilze, Milchlinge, Helmlinge und Champignons.
Herzstück: Beschreibungen und Zeichnungen von Pilzen
Aufbau der Beschreibungen
Neben dem fett hervorgehobenen deutschen Pilznamen steht die wissenschaftliche Artbezeichnung inklusive Autorenzitat in regulärer Schrift.
Darunter befinden sich die mit bloßem Auge erkennbaren Merkmale wie beispielsweise der Hut, die Lamellen oder Röhren und der Stiel. Es folgen die mikroskopischen Merkmale wie zum Beispiel die Sporen und der Aufbau der Hutdeckschicht. Ergänzend hierzu wird links neben jeder Beschreibung die Zeichnung einer typischen Spore abgebildet, um die Form der Spore, die Stärke der Wandung und gegebenenfalls das Ornament besser beurteilen zu können.
Nach den Merkmalen gibt der Autor Auskunft über das Vorkommen, dazu gehören u. a. das Habitat, das Substrat oder der Symbiosepartner und das Verbreitungsgebiet. Zwar gibt es auch Angaben zum Gefährdungsgrad laut Roter Liste, aber die Angaben sind leider veraltet. Wer die aktuellen Werte wissen will, kann sie im Portal der Pilze Deutschlands kostenlos recherchieren.
Wo bekannt, finden sich Angaben zum Speisewert. Giftige Pilzarten werden zusätzlich mit einem Totenkopf gekennzeichnet, essbare dagegen mit gekreuztem Essbesteck. Abgerundet werden die Beschreibungen häufig mit bestimmten Merkmalen zur Unterscheidung von einer ähnlich aussehenden Pilzart.
Druckqualität und Flüchtigkeitsfehler
Die Zeichnungen wurden durchgängig in guter Qualität abgebildet, die Druckqualität der Beschreibungen schwankt jedoch. Vergleicht man beispielsweise die Seiten 312 und 314 miteinander, weist erstere satt schwarze und deutlich lesbare Buchstaben auf, während der Text auf der anderen Seite dünner und bleicher erscheint. Gerade im Hinblick auf die kleine Schriftgröße kann dies das Lesen erschweren.
Dass auf der Seite 38 beim Flockenstieligen Hexenröhrling zwischen der Gattungsbezeichnung Boletus und dem zweiten Teil des Artnamens erythropus ein Leerzeichen fehlt: Geschenkt, zumal das anscheinend der einzige Flüchtigkeitsfehler ist.
Danke an Manuel Wallesch für die beiden Hinweise.
Zusammenfassung und Ergebnis
Das altbewährte „Pareys Buch der Pilze“ wird auch heute noch in Pilzkursen zur Bestimmungarbeit eingesetzt. Es spricht in erster Linie Pilzfreundinnen und Pilzfreunde an, die jenseits der Speise- und Giftpilze tiefer in die Materie eintauchen wollen und sich nicht davor scheuen, Fachvokabular nachzuschlagen.
Seine Stärke sind die Bestimmungsschlüssel und vor allem die großartigen Farbzeichnungen der Fruchtkörper mit den jeweils typischen Merkmalen. Das ist in diesem Format und in dieser Preisklasse konkurrenzlos.
Das Werk hat es in der nächsten Auflage verdient, inhaltlich überarbeitet zu werden: Abgesehen von einem Update der wissenschaftlichen Pilznamen und der Gefährdungsangaben fände ich die Giftnotrufnummern sowie die Kontaktdaten der Giftinformationszentren hilfreich. Bei den Vergiftungssyndromen ist zudem noch Platz für das Morchella- und Pleurocybella-Syndrom.
Toll wäre auch eine größere Messskala auf dem Umschlag und ein gleichbleibend satter Druck im Inneren, damit die kleine Schrift besser lesbar ist.
Dennoch kann ich die aktuelle Auflage für alle empfehlen, die das Buch noch nicht im Regal stehen haben. Der Preis von rund 30 Euro ist fair.
Nachdruck und Verfügbarkeit
Die hier besprochene Auflage ist leider abverkauft. Der Online-Händler buecher.de nannte März 2018 als Termin für die Verfügbarkeit des Nachdrucks. Auf Nachfrage beim Verlag erhielt ich am 8. Januar 2018 allerdings die Info, dass der Erscheinungstermin noch unklar sei, weil es sich bei den Büchern aus der Parey-Edition um internationale Gemeinschaftsproduktionen mit verschiedenen Partnern handelt und der Kosmos-Verlag keinerlei Einfluss auf die Fertigstellung hat.
Hinweis: Das Buch wurde mir vom Kosmos Verlag als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Rezension.