19.10.2024 – Bockberg bei Harburg (Schwaben)



In der zweiten Oktoberhälfte 2024 war es eine wahre Freude, den kunterbunten Wiesenpilzen am südlichen Rand des Rieskraters nachzustellen. Allein den Südwesthang des Bockbergs und die westlich anschließenden, gen Norden sanfter abfallenden Offengrasflächen hatte ich drei Mal besucht. Auftakt der Exkursionsserie war am 19. Oktober. Unterstützung bekam ich später noch von Tobias Luschner, der zuvor eine Lehrwanderung des Augsburger Pilzvereins ganz in der Nähe führte.
 

Rote Kirschen im Gras

Mein erstes Ziel war ein bekanntes Myzel von Hygrocybe coccinea, dem Kirschroten Saftling. Die bodenvage Art zählt zu den häufigeren Saftlingen und eignet sich gut als Zeigerart für bessere Biotope, anders als z.B. Funde von H. conica agg., dem Schwärzenden Saftling, oder H. persistens, dem Safrangelben Saftling. Jene Arten sind eher als banal einzustufen, wenngleich z.B. das Aggregat des Schwärzenden Saftlings bestimmt noch die eine oder andere Überraschung parat hält.

Die Fruchtkörper von H. coccinea haben trockene Stiele und Hüte, lediglich bei feuchter Witterung kann die Hutoberfläche etwas schmierig sein. Der Hut ist leuchtend rot gefärbt, der Rand gerne gelb und kaum gerieft. Das Kirschrot zieht sich am Stiel hinab und blass über orange zur Basis hin gelblich aus. Auch die Lamellen sind rötlich gefärbt, was aber wegen der gelben Farbe zu den Schneiden hin schwerer erkennbar ist.
 

Markante Lamellenschneiden

Nach dem Abstecher zu dem tollen Saftling und einer ersten Überblicksrunde lief ich wieder zum Startpunkt zurück und inspizierte den unteren Südwesthang des Bockbergs nahe der asphaltierten Straße. Windgeschützt am Fuß eines Wacholders stand ein Grüppchen Entoloma serrulatum. Ein typisches Merkmal des Gesägtblättrigen Zärtlings sind die mehr oder weniger blau pigmentierten Lamellenschneiden. Die Pigmentierung kann übrigens recht lückig ausfallen, weshalb sich eine gründliche Suche mit der Lupe empfiehlt.
 

Saftling mit auffälligem Geruch

Während ich den Trupp fotografierte, stieß Tobias mit einem Augsburger Vereinskollegen dazu. Ihr erstes Ziel war natürlich ebenfalls der farbenprächtige Kirschrote Saftling. Danach schlenderten wir serpentinenartig die gen Norden abfallenden Magerrasen herab. Es dauerte nicht lange, bis Tobias zwischen Grasbüscheln drei im Boden eingesenkte Saftlinge erspähte.

Sie hatten eine kräftige Statur und waren kräftig gelb gefärbt. Auffällig war ein oranger Beiton in den Lamellen, was mich gleich an einen Fund von Hygrocybe quieta, den Blattwanzen- oder Schnürsporigen Saftling, erinnerte. Eine Geruchsprobe bestätigte den Verdacht: Die Fruchtkörper rochen wie die des Eichen-Milchlings, Lactarius quietus, nach „Blattwanzen”. Anders als beim aktuellen Fund am Bockberg wuchs die Art im September 2014 jedoch in einem geschlossenen Kalk-Buchen-Tannenwald auf der Riesalb bei Donauwörth.
 

Schönfarbige Wiesenkeule?

Dann leuchtete uns in der grünen Krautschicht ein gelboranges, gewunden-keulenartiges Gebilde entgegen. Eine Option wäre das Schönfarbige Wiesenkeulchen, Clavulinopsis cf. laeticolor, dessen Fruchtkörper für gewöhnlich mehr orange Farbtöne aufweisen. Doch ohne Mikromerkmale lässt sich der hübsche Fund nicht auf Artebene eingrenzen. Vielleicht gelingt mir in 2025 ein Wiederfund, idealerweise mit Elan zum Mikroskopieren. Zur Bestimmung bietet sich das 2-bändige italienische Werk „I Funghi Clavaroidi in Italia” von Franchi & Marchetti (2021) an – nachstehend mein Text aus dem DGfM-Rundbrief 6/2021:

Die Bücher sind in italienischer Sprache verfasst, die Schlüssel wurden von Edmondo Grilli ins Englische übersetzt. Das Werk behandelt auf rund 1.200 Seiten insgesamt 307 clavarioide Taxa. 199 Arten, Varietäten und Formen werden beschrieben, 22 davon neu. Die Pilze werden üppig mit Farbfotos im Habitat und mikroskopischen Details illustriert. Die Porträts umfassen genaue Beschreibungen und ausführliche taxonomische und nomenklatorische Diskussionen inklusive einer Vielzahl phylogenetischer Bäume basierend auf ITS- und LSU-Sequenzen.

In dem Werk werden 73 Holotypen zu Taxa aus den Gattungen Alloclavaria, Artomyces, Clavaria, Clavariadelphus, Clavicorona, Clavulina, Clavulinopsis, Gomphus, Kavinia, Lentaria, Macrotyphula, Mucronella, Multiclavula, Phaeoclavulina, Pterula, Ramaria (Untergattungen Lentoramaria und Ramaria), Ramariopsis, Schildia und Typhula überprüft.

Der Doppelband kann bspw. beim Myko-Service von Andreas Gminder für 130 Euro zzgl. Versandkosten (Stand 10.3.2025) bestellt werden.
 

Charakterart des Habitats

Schlusslicht dieser Exkursion macht wieder ein alter Bekannter: der Orangefarbene Wiesen-Ellerling, Cuphophyllus pratensis. Die Art hatten Tobias und ich bereits bei unserer Erstbegehung des Bockbergs gefunden. Sie besiedelt vorwiegend Magerrasen und Bergweiden. Die Fruchtkörper können stattliche Hutdurchmesser von mehr als 10 cm erreichen. Bei trockener Witterung reißt der Hut am Scheitel für gewöhnlich ein. Besonders attraktiv sind Exemplare mit verbogenenn Hüten, die einen Blick auf die darunter liegenden, am Stiel herablaufenden Lamellen gewähren.

Ähnlich kann der Wald- oder Hain-Schneckling (Hygrophorus nemoreus) aussehen, der zwar vorwiegend im Laubwald vorkommt, aber mit grasigen Lichtungen durchaus ökologische Überschneidungen mit dem Orangefarbenen Wiesen-Ellerling hat. Markant für H. nemoreus ist ein feiner Mehlgeruch im Anschnitt des Fruchtkörpers, der aber laut Literatur auch fehlen kann. (Ludwig 2012) Zudem ist der Stiel nie glatt wie bei C. pratensis, sondern feinfaserig gestreift und an der Spitze kleiig bis feinkörnig weiß besetzt. (Michael et al. 1977)

 

Literatur

  • Franchi P, Marchetti M (2021) I Funghi Clavarioidi in Italia. Associazione Micologica Bresadola, Trento.
  • Ludwig E (2012) Pilzkompendium (Beschreibungen), Bd. 3. Die übrigen Gattungen der Agaricales mit weißem Sporenpulver. Fungicon, Berlin: 314−316.
  • Michael E, Hennig B, Kreisel H (1977) Handbuch für Pilzfreunde, Bd. 3. Blätterpilze − Hellblättler und Leistlinge. 2. Aufl. VEB Gustav Fischer, Jena: 404.

Herzlich Willkommen!

Mein Name ist Andreas Kunze, ich bin ein Pilzkundler aus Donauwörth (Schwaben). Ich beschäftige mich gerne mit Wiesenpilzen wie Saftlingen und Zärtlingen. Als begeisterter Pilzfotograf finde ich einen Ausgleich zu meinem Job im IT-Support.

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