Cuphophyllus russocoriaceus – Juchten-Ellerling, Rasierwasserschwammerl


 

Funddaten

Bestimmung: Cuphophyllus russocoriaceus (Berk. & Jos.K. Miller) Bon 1985   Funddatum: 2.11. + 5.11.2024   Fundort: D − BY RBz Schwaben Lkr. Donau-Ries Harburg (Schwaben), Schafweide auf großer Kuppe über dem Adelmannstal SO Hühnerberg   Messtischblatt: 7230/113   Höhe über NN: 533 m   Ökologie: Kalkmagerweide mit einzelnen Wacholderbüschen und Bäumen

 

Merkmale

Hut: 18−26(–45) mm breit, jung gewölbt bis glockig, zuweilen faltig, oben abgeflacht, bald ausgebreitet, mittig eingedellt bis genabelt und Rand lange nach unten gewölbt und im Alter teils wellig verbogen; Oberfläche glatt, etwas glänzend, fettig anfühlend; durchfeuchtet hell creme-ocker, vor allem im Zentrum, ausgewachsen am Rand durcheinend gerieft und opak, beim Trocknen fleckig-strähnig nach außen ausblassend mit ockerfarbenem Punkt über der Stielspitze, trocken ungerieft

Lamellen: bogig am Stiel herablaufend, im Alter auch etwas bauchig und dadurch s-förmig, entfernt stehend, mit Lameletten untermischt, am Grund queraderig verbunden, weißlich bis blass cremefarben, Schneiden glatt und wie Lamellenflächen gefärbt

Sporenpulver: hell, Farbe mangels genügend Sporenpulver im Abwurfpräparat nicht bestimmbar – lt. Literatur weiß

Stiel: 30−33(–50) mm lang, gerne wellig verbogen oder zumindest geschwungen, oben am Lamellenansatz 3−2×4 mm dick, nach unten verjüngend, an der Basis 2(−2×3) mm dick, Oberfläche glatt und matt; weißlich bis blass cremefarben, durchfeuchtet gelegentlich +/- glasig oder glasig-gebändert, zur Basis schwach bräunlicher getönt

Fleisch: im Hut dünn, im Randbereich praktisch fehlend, am Stielansatz am dicksten; im Stiel längsfaserig, zur Basis hin zäher, im Alter hohl; sowohl im Hut als auch im Stiel weiß

Geruch: angenehm aromatisch, parfümiert; bei angetrockneten Fruchtkörpern intensiver, lt. Literatur an Exsikkaten auch noch Jahre später wahrnehmbar

 

Untersuchte Fruchtkörper

Die Beschreibung der Merkmale bezieht sich auf die Bilder 1–5. Das 6. Foto stammt von einem anderen Fund, der am 29.10.2022 während einer gemeinsamen Exkursion mit Tobias Luschner und Georg Schabel auf der Schwäbischen Alb bei Steinheim-Söhnstetten gemacht wurde, und soll die Variabilität dieser Art verdeutlichen.

 

Bestimmung und Artabgrenzung

Der Juchten-Ellerling kann bereits im Feld anhand seines aromatischen Geruchs bestimmt und von anderen Ellerlingen mit ähnlich gefärbten Fruchtkörpern unterschieden werden.

Gerne wird er mit dem häufigen und weit verbreiteten, aber geruchlosen Glasigweißen Ellerling (C. virgineus s.l.) verwechselt. Insbesondere die ockerblasse Varietät ochraceopallidus kann sehr ähnlich aussehen.

Die vergleichsweise kleinen und schlanken Fruchtkörper von Cuphophyllus russocoriaceus haben meist einen blass gelblichen bis blass ocker gefärbten Hut mit durchscheinender Riefung. Beim Trocknen blasst die Hutfarbe von der Mitte her aus (= hygrophan). Die weißen bis cremefarbenen Lamellen auf der der Hutunterseite laufen an dem dünnen, gerne gewellten oder zumindest geschwungenen Stiel herab.

Wie C. virgineus können überalterte Exemplare bisweilen pinke Flecken auf dem Hut und/oder entsprechende Verfärbungen in der Stielbasis aufweisen, die durch Bakterien verursacht werden.

 

Ökologie und Vorkommen

Der Juchten-Ellerling bevorzugt basische Böden und besiedelt offene Habitate wie ungedüngte Wiesen und Weiden, Halbtrockenrasen, Wacholderheiden und Dünen. Er kommt aber auch in Gebüschen, an Wegrändern und auf Waldlichtungen vor. Selbst aus Kalkflachmooren existieren Nachweise. (Ludwig 2012)

Der Blätterpilz erscheint truppweise bis gesellig, selten einzeln. Er kann ab August gefunden werden, hat aber seinen Schwerpunkt im Spätherbst (Oktober, November) bis zu den ersten Frösten.

 

Artenschutz und Gefährdung

In der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) wird der Juchten-Ellerling klassisch zur Gattung Hygrocybe (Saftlinge) gezählt. Demnach handelt es sich bei dem Pilz gemäß Anlage 1 um eine „besonders geschützte Art“. Für die Art besteht auch keine Ausnahme nach § 2, weshalb die Art überhaupt nicht gesammelt werden darf.

In der Roten Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands (Dämmrich et al. 2016) wird der Juchten-Ellerling als „Gefährdet“ (Kategorie 3) eingestuft. Die aktuelle Bestandssituation wird als „selten“ ausgewiesen. Es wird erwartet, dass der Bestand von C. russocoriaceus mäßig zurückgeht, auf längere Sicht jedoch stark abnimmt (kurzfristiger bzw. langfristiger Bestandstrend).

Karasch & Hahn (2010) stufen die Art in der Roten Liste der Großpilze Bayerns sogar als „Stark gefährdet“ (Kategorie 2) ein. Zur Gefährdungskategorie wird angemerkt:

Diese Arten haben innerhalb des Bezugsraumes in nahezu allen Teilen ihres Areals deutliche Bestandsverluste zu verzeichnen. Wenn Gefährdungsfaktoren und -ursachen weiterhin einwirken und Schutz- und Hilfsmaßnahmen nicht unternommen werden bzw. wegfallen, kann dies das regionale Erlöschen der Art zur Folge haben.

Insofern freute es mich besonders, dass ich Mitte November 2024 wenige Kilometer entfernt bei Harburg-Katzenstein noch eine zweite Fundstelle (ohne Bild) ausmachen konnte: Auf einer südlich exponierten Wacholderheide neben einer asphaltierten Ortsverbindungsstraße war die Krautschicht mit gut 50 Fruchtkörpern durchsetzt, sodass mir bereits beim Näherkommen der aromatische Rasierwasserduft (siehe Folgeabschnitt) in die Nase stieg. Im Umkreis des Juchten-Ellerlings fruktifizierten ein paar Trupps des Kirschroten Saftlings (Hygrocybe coccinea) und mehrere Exemplare des Hasen-Stäublings (Lycoperdon utriforme). Die vielversprechende Stelle ist bereits für eine Nachsuche mit Fotoshooting in 2025 vorgemerkt.

 

Gerüche und Namensherkunft

Geruchsvergleiche in der Literatur gibt es mehrere:

  • Russisches Leder/Juchtenleder

Sowohl der zweite Teil des wissenschaftlichen Namens (Epitheton) als auch die deutsche Artbezeichnung beziehen sich auf den markanten Geruch der Fruchtkörper „nach Russisch Leder” – Genaust (2005) schreibt hierzu folgendes:

russocoriáceus (Camarophyllus) <Juchten->: zum vor. und lat. coriāceus (zu corium <Leder>); bezogen auf den typischen Geruch der Fruchtkörper, der dem des (ursprünglich nur in Rußland erzeugten, mit Birkenrindenteer imprägnierten) Juchtenleders gleicht.

Juchtenleder besteht aus zwei Schichten pflanzlich gegerbtes Rindsleder, das mit Birkenrindenteer imprägniert und anschließend stark gefettet wurde. Es ist recht dick, wasserdicht und geschmeidig. Die Behandlung mit Birkenrindenteer soll ihm seinen typischen Geruch verliehen haben. Der wird jedoch mit "ähnlich wie geräucherter Speck" (Autorenkreis Lederpedia 2019) beschrieben, was mit Rasierwasser wenig gemein hat.

Jürgen Marqua berichtet im DGfM-Forum (2012), dass dem Birkenrindenteer auch Duftstoffe zugesetzt wurden. Welche und in welcher Konzentration lässt heute nicht mehr nachvollziehen, da es weder einheitliche Rezepturen gab noch diese öffentlich bekannt waren.

  • Blutrotes Fingerkraut

Leider ist heute kaum noch die vollständige Geruchsbeschreibung aus dem Begleittext der Originaldiagnose bekannt:

The whole plant exhales a strong musky smell like that of Russian leather, or Potentilla atrosanguinea, which it sometimes retains for years.

Demnach handelt es sich generell um einen starken Moschusgeruch, der mit dem Geruch von a) russischem Leder oder b) dem Blutroten Fingerkraut verglichen wird. Letztgenannter Vergleich wird nicht weiter spezifiziert, weshalb damit der Blütenduft gemeint sein dürfte – ein Versuchsanbau durch meine Mutter, eine begeisterte Gartenliebhaberin, soll in 2025 Aufschluss darüber geben:

Das Blutrote Fingerkraut bildet bis zu 40 cm hohe, buschige Pflanzen mit gefiederten, unterseits behaarten und silbergrün erscheinenden Blättern. Manchmal schon ab Mai, für gewöhnlich aber von Juni bis August wachsen dicht über den Blättern an geraden Stielen leuchtend rote, schalenförmige Blüten. Die anspruchslose, winterharte Staude bevorzugt sonnige bis halbschattige Standorte mit sandig-lehmigem Boden. 

P. atrosanguinea ist bei uns nicht heimisch, sondern stammt aus dem gemäßigten und tropischen Asien: China und Tibet bzw. Indischer Subkontinent, Östlicher Himalaya, Nepal und West-Himalaya (WFO 2025). Neben der Wildform werden im Gartenfachhandel mehrere Sorten als Saatgut und Pflanzen angeboten.

  • Zedernholz

Nach Marqua (2013b) ist es heute unmöglich nachvollziehbar, was seinerzeit mit „Geruch nach cedar-wood” gemeint war: verschiedene Wacholderarten aus der Gattung Juniperus, der Abendländische Lebensbaum bzw. Gewöhnliche Thuja (Thuja occidentalis) oder die Westindische Zedrele bzw. Spanische Zeder (Cedrela odorata)?

Marqua (2013a) beschreibt seine Dufterinnerungen beim Schnuppern an den Fruchtkörpern des Juchten-Ellerlings wie folgt:

Nostalgisch, irgendwie nach Barbierstube; Herrenfriseur, Rasier-, Haarwasser, Rasierseife, Pomade – "So will ich auch duften!".

Der bayerische Mykologe Matthias Dondl (München) bezeichnet C. russocoriaceus sogar als Rasierwasserschwammerl (Dondl 2012) – den alternativen Namen finde ich in der heutigen Zeit nachvollziehbarer, weshalb ich ihn für dieses Artporträt als Zweitname adaptiert habe.

Selbst hatte ich den Geruch mit dem Schalenabrieb einer grünen Grapefruit und einer Orange verglichen: Die vordergründige herbe Geruchskomponente kam meiner Meinung nach der abgeriebenen Orangenschale am nächsten.

Mehr zur „Duftodyssee“ rund um den Juchtenellerling und zu Pilzgerüchen allgemein kann in Jürgen Marquas (2013a–c) 3-teiliger Artikelserie „Der Duft des Juchten-Ellerlings – Über Pilzdüfte“ nachgelesen werden. Über Pilzdüfte allgemein hatten auch Hans Halbwachs und Josef Simmel (2022) in der Zeitschrift für Mykologie einen überschaubaren Beitrag verfasst.

 

Literatur

 

Herzlich Willkommen!

Mein Name ist Andreas Kunze, ich bin ein Pilzkundler aus Donauwörth (Schwaben). Ich beschäftige mich gerne mit Wiesenpilzen wie Saftlingen und Zärtlingen. Als begeisterter Pilzfotograf finde ich einen Ausgleich zu meinem Job im IT-Support.

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